EIN STREIFZUG DURCH EINEN DER ÄLTESTEN LANDSCHAFTSGÄRTEN DEUTSCHLANDS
18. NOVEMBER 2020
UNAUFGEFORDERTE WERBUNG
©Nicole Hacke / englische Landschaftsarchitektur par
excellence
Dank Niedersachsens königlichem Vermächtnis zählt das Bundesland mit seiner UNESCO-Kulturhauptstadt Hannover zu den Regionen mit der höchsten Dichte an herrschaftlichen Landschaftsgärten, barocken Schloss- und mittelalterlichen Klostergärten.
Obgleich die Herrenhäuser Gärten, die weit bis über die Landesgrenzen bekannt sind, zu den wohl schönsten Parks Europas zählen und mit ihrem alljährlichen Feuerwerkswettbewerb auf internationalem Niveau Millionen Besucher aus aller Welt anlocken, kann man die hohe Kunst der englischen Landschaftsarchitektur ebenso gut unweit der Landeshauptstadt nahe der Ortsgemeinden Seelze, Havelse und Marienwerder bewundern.
Der Hinübersche Garten, der auf uralte freimaurerische Einflüsse im Bereich der Gartengestaltung zurückblickt, lädt seine Besucher zum Verweilen, Genusswandeln und Erleben ein. Das man dabei einen Blick in die Vergangenheit wirft, ist unumgänglich, denn die Entstehung der hochherrschaftlichen Parkanlage datiert zurück auf das Entstehungsjahr 1766.
©Nicole Hacke / durch prächtige Eichen- und Rotbuchenbestände, die eine jahrhunderalte
Geschichte erzählen
Bei einem mehrmonatigen Aufenthalt in England in den Jahren 1766/67 ließ sich der Freimaurer Jobst Anton von Hinüber von der englischen Gartenkunst zu einem kombinierten Nutz- und Ziergarten inspirieren, wie er so typisch für die bis dato existierenden Landschaftsgärten Englands ist.
Was daraus im wahrsten Sinne des Wortes erwuchs, war der Hinübersche Garten, der als zentrale Achse den Klosterkomplex Marienwerder in das harmonisch gestaltete Landschaftsbild formschön integrierte.
Einer metaphorischen Wegführung zugrunde liegend, begebe ich mich an diesem wundervollen Herbsttag, der aus allen Poren zu strahlen scheint, auf die Spuren der Naturschönheit, tauche ein in Vergangenheit und Gegenwart und begegne dabei, oh Wunder, mir selbst.
Von der Leinebrücke, die ich vom Ortsteil Letter in einer knappen Viertelstunde erreiche, wandert mein Blick sofort über das verwunschene Naturidyll und schweift hinüber zum Kloster Marienwerder, das sich hinter wild wuchernden Hecken, Sträuchern und Baumreihen versteckt. Nur der Kirchturm blitzt wie ein Relikt aus längst vergangenen Tagen aus der überbordenden grünen Oase hervor.
Ich bin wieder und wieder fasziniert, wie anders und der Gegenwart entrückt die Welt in der heilen Blase der nostalgischen Parkanlage doch bis heute geblieben ist.
©Nicole Hacke / der Hexenturm - Symbol für die
Vergänglichkeit
©Nicole Hacke / der Herbst von seiner schönsten Seite im Quantenholz des Hinüberschen
Gartens
Dem Herbstzauber verfallen, tauche ich mit all meinen Sinnen bereits auf der Brücke in das ästhetische Landschaftsbild des Hinüberschen Gartens ein, der zurecht zu einer der ältesten und sicherlich auch prächtigsten englischen Gärten Deutschlands zählt.
Verändert hat sich seine Struktur nämlich seit seiner Entstehung nur geringfügig. Lediglich die Größe des Areals ist im Laufe der Jahrhunderte von 35 ha auf 20 ha geschrumpft. Einige wenige historische Plätze, wie der chinesische Pavillon am Teich mit der Blumeninsel oder die Einsiedelei, sind ebenfalls nicht mehr existent.
Dennoch wurden im Zuge der Weltausstellung Expo 2000, in einer groß angelegten Aufräumaktion, wildwuchernde Waldbestände, Sträucher und Hecken so weit zurückgeschnitten und ausgesäubert, dass der Hinübersche Garten seinem historischen Vorbild mittlerweile wieder 1:1 gleicht.
©Nicole Hacke / Herbstzauber in der ehemaligen Einsiedelei des Hinüberschen
Gartens
©Nicole Hacke / ausgiebige Waldspaziergänge im weitläufigen Areal des englischen
Landschaftsparks
©Nicole Hacke / traumhafte Laubverfärbung im Hinüberschen
Garten
Kurz bevor ich die Ausläufer der Parkanlage betrete, erspähe ich ein Informationsschild, das mir Auskunft über die unzähligen Stationen des Parks gibt. Auch ein Lageplan für die Orientierung hilft ungemein, um sich in dem weiträumigen Areal zurechtzufinden.
14 Stationen kann ich dabei auf meiner Entdeckungstour abgrasen. Angefangen von der Gedenkurne für den Freiherrn von Münchhausen, dem Teich mit der Blumeninsel, der Umgebung der ehemaligen Einsiedelei über die Hügelhalle bis hin zum Hexenturm, gibt es so viel zu bestaunen und erleben, dass ich im ersten Moment gar nicht so genau weiß, wo ich anfangen soll.
Doch die Parkanlage ist ein Selbstläufer, die einzelnen Stationen entlang der vorgegebenen Wege leicht zu finden. Man muss sich einfach nur treiben lassen können und gewillt sein, diesen Spaziergang als eine genussvolle, sinnhafte Erfahrung zu verstehen.
Denn darum geht es vielleicht sogar in übergeordneter Weise, da alle Stationen nach freimaurerischer Ideologie Entwicklungsstufen der Suchenden darstellen. Auch ich zähle mich dazu und bin nicht minder überrascht, dass die Natur in diesem sehr mystischen Garten etwas in mir wachrüttelt, mich zum Nachdenken animiert und mir auf meiner „Wanderung“ Raum und Zeit für das Innehalten lässt.
©Nicole Hacke / der Teich mit der Blumeninsel im Hinüberschen
Garten
Am Hexenturm angelangt, erfahre ich etwas über die Vergänglichkeit. Die letzte Station einer Reise durch das Leben endet im metaphorischen Sinne hier an diesem lauschigen Ort, der so rein gar nichts mit Hexen, Hokuspokus und dem Lebensende gemein hat.
Ob ich gerade in Stimmung bin mich auf sämtliche Prüfungen des Lebens anhand einer dem Lebenssinn zugewandten Wegführung einzulassen, mag ich bezweifeln. Der sonnenverwöhnte Herbsttag ist einfach viel zu heiter, um sich den tiefsinnigen Fragen des eigenen Seins zu stellen.
Nichtsdestotrotz macht dieser Rundgang nachdenklich. Und je mehr ich mich im goldenen Licht des Herbstes von bunten Baumkronen faszinieren lasse, umso intensiver erlebe ich nicht nur das Faszinosum Natur, sondern mich selbst als Teil dieses ewig schönen großen Ganzen.
Bevor ich mich vom Hexenturm abwende, genieße ich noch einmal den sagenhaften Ausblick auf offene Weideflächen und Waldabschnitte, die sich mir wie in einem der eindrucksvollsten Landschaftsgemälde des 18. Jahrhunderts eindrücklich in Natura präsentieren.
Durch das Quantenholz, dem ältesten Wald der malerischen Grünanlage, marschiere ich belebt und voller Freude an den uralten Eichen und Rotbuchen vorbei. Und wenn ich ganz genau hinhöre, dann erzählen sie mir mit dem sanften Säuseln des Windes sogar ihre Geschichte!
Der Hinübersche Garten lädt zum Flanieren, Schlendern oder aber einfach nur zum Spazierengehen ein. Ob im Sonntagsgewand, sportiv oder lässig. Bei einem Besuch des frühesten Landschaftsparks Deutschlands bedarf es nicht wirklich einer Wanderkluft.
Die Wegführung durch den Park ist einfach. Bestenfalls lässt man sich einfach treiben und streift langsam und aufmerksam durch die grüne Lunge.
Der Park hat mehrere Eingänge. So kann man vom Kloster in Marienwerder direkt auf den Teich mit der Blumeninsel zusteuern oder aber vom Ortsteil Letter über die Leinebrücke in die Parkanlage gelangen. Den vielleicht sogar schönsten Ausblick auf die ursprünglich belassene Leine und den unmittelbar daran angrenzenden Hinüberschen Garten hat man von eben dieser Brücke.
©Nicole Hacke
Anreise:
Mit der S2 ab Hannover HBF in Richtung Wunstorf mit Halt in Letter. Dort angekommen durchquert man den Ortskern, passiert die evangelische Kirche und biegt dann kurz vor dem Hauptfriedhof linker Hand ab. Weiter dem Straßenverlauf folgend, steuert man auf ein nicht zu übersehendes einzelnes Hochhaus zu, das direkt an das Marienwerder Holz angrenzt. Von dort gelangt man in weniger als fünf Minuten über die Leinebrücke in den Hinüberschen Garten.
Tipp:
Einkehrmöglichkeiten in Parknähe gibt es aktuell nicht. An schönen Tagen kann man sich aber mit Proviant eindecken und auf einer der unzähligen Bänke im Park picknicken. Das käme dann auch dem Verständnis englischer Genusskultur sehr nahe.