das oytal, die schattige Nachbarin des trettachtals

21. MÄRZ 2020

UNAUFGEFORDERE WERBUNG

©Nicole Hacke / Ortsausgang Oberstdorf Richtung Moorweiher entlang der Trettach

in die schöne au, immer dem oybach folgend

 

Nach einem panoramareichen Ausflug ins Trettachtal führt mich meine heutige Wanderung in das östlicher gelegene Oytal. Dieses liebliche, wenn auch schattigere Tal wurde von den Oberstdorfern einst „Guete Oy“ genannt, was frei übersetzt die „schöne Aue“ bedeutete. Dorthin mache ich mich zu früher Stunde auf den Weg.


Ausgehend vom oberen Ortsausgang in Oberstdorf, Richtung Nebelhornbahn, geht der Panoramaweg kurz vor der Lorettokapelle links bergauf Richtung Moorweiher. Die erste halbe Stunde wandere ich eben ab entlang der Trettach in schattiger, bewaldeter Umgebung. Danach gabelt sich der Weg an der Mühlenbrücke, von wo aus man einen atemberaubenden Blick auf die Gipfel des Spätengundkopfes und der Trettachspitze hat.


Noch ein gutes Stück weiter geradeaus biegt der Wanderweg auf Höhe der Oybachbrücke ins Oytal linker Hand ab und windet sich leicht ansteigend entlang des wilden Oybachs.

 

©Nicole Hacke / durch die kleine Schlucht entlang des Oybachs talaufwärts ins Oytal

©Nicole Hacke / Eiszapfenmagie!

Rauschend und strudelnd gurgelt der Bach mal lauter, mal leiser, je nachdem, was die Akustik der kleinen Schlucht so hergibt. Etwa eine weitere halbe bis gute Dreiviertelstunde laufe ich bachaufwärts bei eisiger Kälte durch schattiges Gebiet und höre das herabströmende Wasser immerfort rauschen. Das Brausen in meinen Ohren hat beinahe eine meditative Wirkung auf mich, so klangvoll, beruhigend und einlullend sind die Geräusche des fließenden Wildbachs.


Meine Hände spüre ich jetzt kaum noch. Viel zu frostig sind die Temperaturen, die durch das Gletscherwasser gefühlt noch weiter ins Minus herabzusinken scheinen.


Doch schon bald verlasse ich die enge Schlucht und folge nun einer bewaldeten Forststraße, die leicht bergan weiter hinauf in das Seitental ansteigt und nach weniger als 20 Minuten in einer breiten Allee mündet, die von hochherrschaftlichem Bergahorn gesäumt wird. Seit dem Jahr 1897 stehen diese prächtigen Baumreihen, die mit der Errichtung der ersten Gaststätte im weitläufigen Tal gepflanzt wurden.

 

©Nicole Hacke / Tiefschneezauber im tiefen Tal

durch hochherrschaftliche Alleen auf der suche nach berggeistern

 

Der umsichtige und geschäftstüchtige Oberstdorfer Max Kapeler baute das noch heute existierende und gut florierende Oytalhaus, das auf 1009 Höhenmeter gelegen, die ersten Bergwanderer, Alpinisten und Touristen in das Tal brachte. Seit dieser Zeit rollt dort regelmäßig und sicherlich nicht zu knapp der Rubel.


Aufmerksam durchschreite ich die Allee und bewundere die Pracht der markanten Bäume, die in der warmen Jahreszeit üppige und dichte Baumkronen erahnen lassen. Der Schatten, den ich gerade jetzt nicht wirklich benötige, wird für den Bergwanderer im Sommer eine absolute Wohltat sein. Mein Blick schweift umher, wandert von Baum zu Baum und bleibt plötzlich an einem Baumstamm haften, der etwas Eigenartiges an sich hat. Aber was, nur was erspähe ich da?

 

Ein übergroßer Pilz, so scheint es, starrt mich aus furchteinflößenden Augen an. Aber nein! Es ist kein Baumpilz, sondern eine Holzschnitzerei in Form eines Wichtels, der sich kaum merklich aus dem Baumstamm zu schälen scheint oder vielmehr mit dem Stamm aus einem Guss kommt.

 

©Nicole Hacke / Fantastische Ausblicke auf die majestätische Bergwelt

©Nicole Hacke / Bergahornallee auf dem Weg zum Oytalhaus auf 1009 Höhenmeter

©Nicole Hacke / Ein Berggeist schaut mich aus großen Augen an

unglaublich faszinierende Welten aus Felsformationen und ewigem eis

 

Trügen mich meine Augen oder sehe ich das tatsächlich? Vielleicht leben an diesem Ort Waldgeister oder meine Fantasie geht mal wieder mit mir durch. Wer weiß! Ich schieße ein Foto, um den Beweis mit mir davontragen zu können, und nähere mich auf wenigen Metern endlich dem Oytalhaus, das wie auf dem Präsentierteller vor dem sich weit öffnenden Tal aufbaut.


Dahinter offenbart sich mir eine Talkulisse, die märchenhafter und zauberhafter nicht sein könnte. Schneebedeckte Bergflanken des Schnecks, Himmelhorns sowie der kleinen und großen Wilden kontrastieren die ewig weiten Flächen des lieblichen Talkessels, die im Winter, zu ewigem Eis erstarrt, wie aus einer anderen Welt entsprungen, beinahe unwirklich, unnahbar und mächtig erscheinen.


Jetzt ist mein Hunger wie verflogen. Ich muss weiter, denn meine Neugier ist nun vollends geweckt. Was verbirgt sich wohl am Ende des verwunschenen Tals?

 

©Nicole Hacke / Aussicht auf den Schneck, das Himmelhorn sowie die kleinen und die großen Wilden

Lange werde ich noch laufen müssen, ca. zwei weitere Stunden, um in den Genuss der sich vor mir senkrecht aufbauenden Felswände zu kommen. Doch fast werde ich bei meiner Erkundungstour ausgebremst. Ein Schild weist alle Wanderer und Touristen darauf hin, dass das Begehen des alpinen Geländes auf eigene Gefahr geschieht. Lawinen stehen aktuell mit Warnstufe 3 ganz hoch im Kurs. Tatsächlich haben wir gerade Tauwetter, der Schnee ist ziemlich nass und schwer, sodass ein etwaiges Risiko sicherlich nicht auszuschließen ist.


Doch meine Faszination und meine unstillbare Neugier machen keinen Halt vor meinem Übermut und so kommt es, dass ich mich respektvoll und wachsam immer tiefer in das majestätisch anmutende Tal vorwage.


Aus der breiten Forststraße ist nunmehr ein kleiner ausgetrampelter Schneepfad geworden, der von nicht sehr vielen Wanderern begangen worden ist. Zumindest ist der Schnee noch nicht festgetreten und stellenweise sackt man immer wieder ein Stück weit ein, was das Wandererlebnis zu einer abenteuerlichen Expedition im kleinen Stil macht. Immer stiller und lautloser wird es um mich herum. Kein Laut, keine Tiergeräusche, kein säuselnder Bach.

 

Nichts. Nur der knisternde Schnee unter meinen Schuhen, der mit jedem Tritt aufs Neue knirscht.

 

©Nicole Hacke / vor verschlossener Tür - die Gutenalpe

Ich bin, also lebe ich! Doch wie klein und fast schon nichtig ich wirklich bin, merke ich erst in diesem großen Ganzen aus Schnee, Eis und zu Felsgestein gewordener Ewigkeit. Einen Schritt vor den anderen setzend erreiche ich nach knapp einer halben Stunde die unbewirtschaftete Almhütte Gutenalpe, bei der alle Fenster fest verriegelt sind. Wie einsam und verlassen ein Ort doch sein kann, der in der Sommerhochsaison nur so vor Menschen überquillt.


Wie magisch angezogen, schweift mein Blick noch mal über die gewaltige Bergkette, bevor ich, der Vernunft zollend, meinen Rückweg aus dem Tal zurück nach Oberstdorf antrete. Gerne hätte ich mich jetzt der Roller vom Oytalhaus bedient, um die lange Wegstrecke im Nu zu überwinden. Doch für das Vergnügen muss ich dann wohl auf den nächsten Sommer warten.


Mit festem Schritt, innerer Ruhe und tiefer Entspannung laufe ich talabwärts und begreife, dass ich im Kosmos der ewigen Natur immer nur ein verschwindend geringer Punkt sein werde.

 

Einkehr auf 1009 M - das Oytalhaus

 

Nach einer ausgiebigen Wanderung durch das Oytal steht erst mal eine kleine Stärkung an. Auf 1009 m gelegen, bietet das Oytalhaus eine bodenständige, gut bürgerliche Küche. Die regionalen Produkte werden frisch zubereitet und die Auswahl der Allgäuer Speisen lässt einem das Wasser im Mund zusammenlaufen. Auch die hauseigene Kuchenauswahl ist vorzüglich. Frisch gebacken, wie bei Muttern, dampft der Apfelstrudel noch heiß aus dem Ofen.

 

 

©Nicole Hacke / Gastwirtschaft Oytalhaus

Sehr zu empfehlen sind die selbst gemachten Spätzle, die Wildgerichte und das Schnitzel Wiener Art. Im Sommer hat das Oytalhaus auch seine große Panoramaterrasse mit Blick auf die gigantische Bergkulisse geöffnet. Dort speist es sich dann unterm Sonnenschirm in schattiger Lage ganz besonders angenehm. Allerdings sollte man nicht gerade während der Stoßzeiten dort aufschlagen, denn der Sommertourismus hat es insbesondere im August ganz schön in sich. Lieber im Frühsommer oder in den herbstlichen Monaten dort urlauben. Dann nämlich lichten sich die Touristenströme und man kann endlich wieder ganz entspannt überall einen guten Platz zum Einkehren finden.

 


Wer den weiten Weg ins Tal ab Höhe des Oytalhauses nicht mehr zu Fuß antreten will, der kann ausschließlich in den Sommermonaten ( April bis November) alternativ ins Tal hinunterrollen. Wie das geht? Ganz einfach. Es gibt einen Rollerverleih direkt gegenüber vom Gasthaus Oytalhaus. Von dort mietet man sich die Roller gegen eine kleine Gebühr und fährt die 7,5 Kilometer lange Strecke immer bergab in Richtung Oberstdorf. Unten angekommen gibt man die Roller Beim Fahrrad Heckmair in unmittelbarer Nähe der Nebelhornbahn wieder ab. Keine Angst: Die Roller sind alle mit leistungsstarken Bremsen ausgestattet. Auf Verlangen können sogar Helme ausgeliehen werden.

 

Von Oberstdorf ins Oytal (Talwanderung)

 

Länge: 10,1 km

Höhe: 229 m

Lage: Talwanderung

Dauer: 3,5 Stunden

Schwierigkeitsgrad: Trittsicherheit und gute Kondition erforderlich. Im Winter ist der Weg nur eingeschränkt und auf eigene Gefahr begehbar.

 

Ausrüstung: Funktionsbekleidung, Wanderschuhe, bei Bedarf und ausreichend Schneefall, Schneeschuhe, Rucksack, Proviant, Teleskopstöck

 

Am oberen Ortsausgang von Oberstdorf auf Höhe der Nebelhornbahn zweigt der Weg linker Hand kurz vor der Lorettakapelle bergauf Richtung Moorweiher ab. Weiter entlang der Trettach bis zur Oytalbrücke endet die breite Forststraße und biegt links in das schmale Seitental ein. Waldaufwärts auf panoramareichen Wegen wandert man durch eine hochherrschaftliche Bergahornallee, die kurz vor dem Oytalhaus endet. Hinter der geschichtsträchtigen Gastwirtschaft führt die breit ausgebaute Talstraße weiter bis zur Käseralpe. Achtung: Im Winter ist der  Wanderweg ab dort witterungsbedingt nicht begehbar.

 

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