Mitten durch die angst!

04. JANUAR 2021

©Nicole Hacke / Lüneburger Heide

Wie ferngesteuert bewegen sich die Menschen durch die Fußgängerzone der verstädterten Zone. Der gleichförmige, kontinuierliche Bewegungsfluss, der just in dem Moment abrupt abreißt, als sich ganz plötzlich zwei Fußgänger erschreckend nahekommen, verleiht der Szenerie etwas Unwirkliches, Statisches, fast schon Ungelenkes.
Zögernd und mit beinahe unschlüssiger Ungeduld weichen die beiden Passanten in jeweils entgegengesetzter Richtung voreinander aus. Dabei schwingt entweder Ärgernis oder ein leichter Anflug von Hektik in jeder noch so kleinen Geste mit und wird nur noch von einem Höchstmaß an Misstrauen übertroffen.


Ausdrucksloses Missfallen liest sich von den starren Augen der Menschen ab. Ablehnung oszilliert mit jedem Zucken der Wimper. Das Land ist nervös. Seine Menschen sind bis zum Anschlag gereizt. Es fühlt sich an wie die Ruhe vor dem Sturm.
Was von außen betrachtet nach einem scheinbar distanziert höflichen Miteinander aussieht, wird von einer unsichtbaren Macht gesteuert, die sich COVID-19 nennt.

 

Nichts passiert hier wirklich auf freiwilliger Basis, denn es ist die Gesundheitskrise, die dieser Tage nicht nur unsere Bewegungsabläufe lenkt, unsere gewohnten Routinen durchbricht und so übermächtig einengend in unser Alltagsgeschehen eingreift, sondern auch ganz entschieden unser derzeitiges Empfinden, Denken und Handeln beeinflusst.


Das Misstrauen gegenüber unseren Mitmenschen und die unterschwellig aufkeimende Nervosität, die sich zum Großteil schon als irrationale Angstneurose wahrnehmen lässt, beschwört den gesellschaftlichen Ausnahmezustand herauf. Es ist nichts mehr wie es war. Die Gesellschaft erscheint gespaltener denn je.

 

©Nicole Hacke / Wilseder Berg in der Lüneburger Heide

1,5 m Abstand: eine indoktrinierte, auf Distanz ausgerichtete Maßnahme, ist das neue, sozialkonforme Geflecht, das sich mit jedem Tag in seiner porösen Struktur immer mehr auseinanderdividiert und dem funktionierenden gesellschaftlichen Wirken langsam aber sicher den Garaus bereitet.


Und alles nur, weil die Angst unter den Menschen obsiegt, die medienwirksam geschürt, ein ganzes Land, ja sogar Europa und die Welt lahmlegt.
Diese Krise ist nicht leicht zu verknusen, noch nicht einmal für die Menschen, die noch den Zweiten Weltkrieg erleben mussten. Sie ist sogar für diese Generation noch schlimmer. Soziale Ausgrenzung, die einem Entzug vom Leben gleichkommt, ist eine Strafe, die uns alle hart und unvorbereitet trifft.


Diese Krise ist weder wirtschaftlich, kulturell noch sozialgesellschaftlich vertretbar, von einer moralischen Verträglichkeit gar nicht erst zu sprechen.
Doch was nützt das Lamentieren, was nützt die Resignation, das angestrengte Innehalten, wenn wir machtlos der Faktenlage gegenüberstehen und an den politischen Entscheidungen wenig bis gar nichts ändern können. Unsere gesammelten Kräfte haben etwas Besseres verdient, als Energien für profane Grübeleien und negatives Gedankengut freizusetzen, auch wenn das vielleicht von uns erwartet wird.


Angst lässt uns erstarren. Angst lähmt. Angst ist kein guter Ratgeber. Angst bringt uns weder vorwärts, noch hilft sie uns, Probleme anzugehen und probate Lösungen zu finden. Angst ist die Verweigerung vor dem Leben schlechthin.
Deshalb bleibt uns einfach auch nichts anderes übrig, als unsere Phobien und quälenden Ängste, die oftmals unbegründet und banaler Natur sind, zu überwinden und zu überlisten, indem wir uns nicht vor ihnen verschließen, sondern indem wir uns ihnen mutig stellen.

 

©Nicole Hacke / Sonnenuntergang in der Lüneburger Heide - Wilseder Berg

Wie das geht?

 

Einfach ist es nicht, denn den inneren Schweinehund zu überwinden bedeutet unser Denken und Fühlen zu hinterfragen, bewusst zu reflektieren, was uns Angst bereitet, was uns erstarren lässt und handlungsunfähig macht. Jahrelang konnte ich selber keinen einzigen Gipfel mehr besteigen, mich im alpinen Gelände sicher bewegen. Ich war emotional so blockiert, durch meine negativen Glaubenssätze mental so konditioniert, dass ich mir immer wieder selber einredete, nicht sportlich, nicht ausdauernd genug und auch nicht wirklich trittsicher zu sein.


Das Schlimmste allerdings war absolut überzeugt davon zu sein, es einfach nicht schaffen zu können. Zu jenem Zeitpunkt kam ich nicht mal auf den Gedanken, diese schwerwiegenden, vernichtenden Glaubenssätze zu hinterfragen.


Warum konnte ich es eigentlich nicht auf einen Gipfel schaffen? Was fehlte mir zu meinem Glück? Was hätte ich tun müssen, um diesem Ziel ein Stück weit näher zu kommen?
Alles Fragen, die meine negativen Glaubenssätze ins Wanken gebracht hätten, denn natürlich war es möglich, einen Gipfel zu besteigen, wenn man es nur wollte und wenn man diesem Vorhaben eine realistische Chance eingeräumt hätte. Doch war mein Geist durchdrungen von abstrusen, irrealen Vorstellungen, die jeglichen Versuch vehement untermauerten.


Der Wille ist demnach ein nicht zu unterschätzender Muskel, den wir trainieren und unserer Angst gegenüberstellen können. Je mehr Muskelkraft unser Wille dabei entwickelt, je mehr wir unseren Willen eisern machen, ihn kontinuierlich kräftigen und stärken, desto weniger Macht und Einfluss hat unsere Angst auf unser Handeln.
Und nicht nur der Wille, Dinge bewegen zu wollen, alles dafür zu tun, damit wir unsere Ängste überwinden, ist alles entscheidend. Auch die positiven Gedanken, die uns darin bestärken aus einem "Nein, ich kann nicht", ein "Ja", das schaffe ich" zu machen, ist höchst relevant und elementar, um unseren ärgsten inneren Feind zu besiegen.

 

©Nicole Hacke / Sonnenuntergang in der Lüneburger Heide

Dabei sind es genau die negativen Gedanken, die uns wie auf einem unwegsamen Pfad blockieren, andersartige Sichtweisen kaum zulassen und uns neue Möglichkeiten nicht einmal aufzeigen. Wenn wir immer nur negativ denken, dann entwickelt sich ein Teufelskreis negativer Gedanken, dem wir nicht so leicht entkommen können und der sich äußerst fatal auf unser gesamtes Befinden und unseren emotionalen Haushalt auswirkt.


Wie konditioniere ich mich also um, sodass mein Wille Berge versetzen kann und meine positiven Gedanken mir soufflieren, dass ich tatsächlich alles schaffen kann, was ich mir im Leben vorstelle?


Die Antwort darauf lautet: Ich halte inne. Ich reflektiere. Ich lasse Informationen auf mich einwirken, bevor ich sie beurteile, bevor ich sie bewerte. Ich stelle mir die alles entscheidenden Fragen, die oftmals mit „Was“ eröffnet werden: Was kann ich tun, damit ich den Gipfel erreiche? Was braucht es, um meine Kondition auf Vordermann zu bringen? Was hilft mir, meine Zweifel zu überwinden?


Mit diesem Vorgehen erreiche ich relativ schnell, dass sich meine negativen Überzeugungen in Luft auflösen, denn, oh Wunder, es tun sich plötzlich Antworten auf, die mir helfen, nach einem Schritt-für-Schritt-Plan meine Zweifel nach und nach auszuräumen. Meine Gedanken werden auf einmal auf die konstruktive Waagschale gelegt, austariert, überdacht und dann objektiv bewertet.


Habe ich dann immer noch Bedenken oder bestimmt meine Negativität meine Gefühlswelt, die mir immer noch Angst signalisiert, dann kann ich mich hundertprozentig auf die heilende Wirkung von Musik verlassen.

 

©Nicole Hacke / Sonnenuntergang in der Lüneburger Heide

Entweder lege ich dann eine klassische CD auf und lausche den kraftvollen, revitalisierenden orchestralen Klängen einer Sinfonie oder ich musiziere selbst. Singen ist dabei das probateste Mittel, um mich ganz effizient auf ein positives Mindset einzustimmen, denn wer singt, kann nichts Negatives mehr fühlen oder denken. Das funktioniert absolut nicht. Und je länger ich singe, je mehr ich mich in einen melodiösen Gefühlsrausch hinein katapultiere, desto fröhlicher, heiterer und überschwänglicher werde ich. Plötzlich kann ich Bäume ausreißen, alles, wirklich alles schaffen und dazu noch die Welt umarmen.

 

Auch gezielte Atemübungen, Meditation und Klopftechniken helfen, Angstzustände langfristig zu bekämpfen. Wer regelmäßig fernöstliche Praktiken wie Yoga oder Meditation ausübt, reduziert nicht nur Stress, Übergewicht und Gelenkprobleme, sondern bewirkt auch, dass sein seelisches Gleichgewicht wieder in Balance kommt.


Ich habe mich übrigens damals bei meiner ersten Gipfeltour nach sehr langer Zeit dazu entschieden, meine Angst einfach zu konfrontieren - und zwar während der Bergbesteigung. Dabei habe ich meiner Angst regelrecht ins Auge gesehen, als ich an einem Drahtseil hängend über einen hundert Meter tiefen Abgrund balancierte.

 

©Nicole Hacke / Wilseder Berg in der Lüneburger Heide

Fast drehte sich mir der Magen dabei um. Den aufkommenden Schwindel konnte ich gerade noch so unterdrücken. Als ich es dann geschafft hatte wieder festen Boden unter den Füßen zu erwischen, stellte sich auf einmal ein unbändiges Glücksgefühl in mir ein. Ich strahlte über beide Backen, war stolz wie Molle auf mich und konnte es einfach nicht glauben, dass ich meine inneren Blockaden überwunden hatte. In dem Moment war ich über mich hinausgewachsen, ich schwebte förmlich, wurde leicht beschwingt und wollte auf einmal mehr von diesem lebendigen Gefühl in mir.


Manchmal müssen wir uns unseren Ängsten eben einfach nur stellen, ihnen herausfordernd begegnen, sie bekämpfen, überwinden und besiegen, um unseren Herzschlag wieder zu spüren, um das Pochen in uns wahrzunehmen, das pulsieren, ja das, was sich Leben nennt und was das Leben einfach so unglaublich lebenswert macht.


Aus dem Grund ist es sogar zwingend erforderlich, dass wir „Mitten durch die Angst“ gehen, das Risiko, das sich Leben nennt, erfahren, um über unsere eigenen Grenzen hinauswachsen zu können, um zu leben, uns zu spüren und um glücklich zu werden. Denn was besagt das englische Sprichwort so sinnhaft:


„No Risk, no fun“


Und das ist im wahrsten Sinne die absolute Wahrheit!

 

Eure

 


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