LIFE IS A FLOWERING EXPERIENCE

04. JUNI 2020

©Nicole Hacke / Life is a flowering experience - und gerade dann, wenn man mittendrin steht!

Life is a flowering experience“, diese Lebensweisheit hörte ich zum ersten Mal mit knapp 19 Jahren, als ich auf einer Parkbank in die Vogue vertieft, von einer älteren Dame, die ich für die Gärtnerin des begrünten Areals hielt, abrupt aus meinen modischen Träumen gerissen wurde. Mit moosgrünen Gummistiefeln, einer abgewetzten Cordhose und einem zerknautschten Schlapphut auf dem Kopf, wirkte die eher unbekümmert, salopp gekleidete Dame nicht wie jemand, den man eine Professur an einer der renommiertesten Universitäten Englands zutrauen würde. Doch wie so oft in meinem Leben sollte ich lernen, dass Äußerlichkeiten einen dazu verführten, falsche Schlüsse zu ziehen, um in irrtümlicher Fehlleitung von den externen Faktoren auf die inneren Werte seines Gegenübers zu schließen.

 

Die besonders freundliche und kultivierte Dame war nämlich Professorin an der Oxford University und unterrichtete, wie sie mir im Verlauf unseres Gesprächs erzählte, Philosophie, Kunst und Geschichte. Ganz nebenbei schrieb sie ihre eigenen Gedichte und philosophierte, wie hätte es in jenem Fall auch anders sein können, über das Leben.

 

Als wir schon eine ganze Weile miteinander plauderten und die Gesprächssubstanz immer interessanter und tiefgründiger wurde, drückte sie mir plötzlich ein auf Pergamentpapier handgeschriebenes Verslein in die Hand.

 

„Life is a flowering experience“, stand dort in pfleglich niedergeschriebenen Lettern. Als ich glaubte zu verstehen, was diese fünf Worte bedeuteten, glitt mir ein Strahlen über das ganze Gesicht, allein bei der Vorstellung, wie herrlich prosperierend, ausufernd schön und prächtig florierend das Leben doch sein musste.

 

Doch mein Geist erfasste in jenem Augenblick nur die eine Seite der Medaille. Was in den Urtiefen des Spruchs verborgen lag, sollte ich in seiner ganzen Bedeutung erst mit den voranschreitenden Jahren am eigenen Leib erfahren. Mit der Lebenserfahrung kam die Erkenntnis, dass Blumen nicht nur wunderschön und stolz erblühten, sondern einen verdammt schweren Weg auf sich nahmen, um überhaupt erst den Zustand der vollen, üppigen Blüte zu erlangen.

 

©Nicole Hacke / inmitten von Rhododendren

Was wir mit den bloßen Augen erfassen, ist oftmals nur die halbe Wahrheit. Wie sollte die Blume zu voller Pracht erblühen können, wenn sie nicht vorab einen langen, schmerzhaften Weg hinter sich gebracht hätte, um die wundersame Metamorphose vom Keimling zur ausgereiften Pflanze zu erlangen.

 

Ein Weg, der nicht nur Kraft, Ausdauer, Durchhaltevermögen und Resilienz erforderlich machen, sondern auch Mut und einen eisernen Willen voraussetzen, allen Gefahren zu trotzen und diese scheinbar unüberwindbaren Hürden dennoch zu meistern.

 

Wie lange es dauert, bis eine Blume tatsächlich erblühen kann, davon machen wir uns wahrscheinlich gar keine Vorstellung, denn was wir eigentlich sehen und was wir tatsächlich nur wahrnehmen wollen, ist das Endresultat, nämlich die bunte, ausladende Pracht der zarten, prallen Blätterfülle, die aus der robusten Knospe schießt, wie eine farbensatte Feuerwerksexplosion.

 

Aber spielen wir den Lebenszyklus einer Blume doch einfach mal durch.

 

Am Anfang steht der Keimling, der tief in die Erde gepflanzt, ein unsichtbares und von der Außenwelt abgeschottetes trostloses Dasein in absoluter Dunkelheit fristet. Sein Wurzelwerk muss erst noch heranwachsen, sich fest in der Erde verankern, um ein stabiles und solides Fundament zu bilden.

 

Erst dann kann sich der zarte Spross entwickeln. Bereits in dieser Phase des Heranwachsens kann es durchaus passieren, dass die bösartigen Egerlinge sowie andere raupenähnlichen Artgenossen dem jungen Gewächs an die Wurzeln gehen, an ihnen nagen und fressen, solange, bis auch der letzte Funke Leben aus dem kaum gedeihenden Pflänzchen ausgehaucht ist.

 

Gefahren säumen zu jeder Zeit den Weg unserer wunderschönen Blume, die sich dennoch tapfer durch alle Widrigkeiten ihres noch sehr bedeutungslosen Daseins manövriert.

 

©Nicole Hacke 

Hat aber der Spross erst einmal zu sprießen begonnen und es geschafft die Erdoberfläche zu durchbrechen, fängt der eigentliche Spaß am immer bedeutungsvolleren Dasein an. Mit der Sonne als Weggefährte, dem treuesten Begleiter und Freund der Blume, schafft es unsere noch zart besaitete Pflanze, sich stetig, langsam aber sicher ihren Weg gen Himmel zu bahnen. Aus dem zerbrechlichen Spross wird ein immer kräftigerer Stiel, der durch das Sonnenlicht und die Fotosynthese an Robustheit gewinnt.

 

Angeregt durch die Wärme, das Licht, die Luft, den Wind und den Regen, gedeiht und wächst der Spross zu einer immer stärker und robuster werdenden Pflanze heran. Die ersten Blätter treiben aus, die ersten jungen Knospen bilden sich.

 

Und mit ihr kommen unausweichlich immer mehr gefürchtete und verhasste Feinde, die unangemeldet auf der Bildfläche erscheinen und einen nimmersatten Hunger anmelden. Blattraupen und Käfer, die gerne unsere Blume malträtieren, machen sich lustvoll über die saftigen grünen Blätter her und fressen Löcher in die knackige, frische Oberfläche, als gäbe es kein Morgen.

 

Für unsere Blume ist das alles andere als ein guter Start, dem Leben freudig und munter entgegenzublicken.

 

Und dennoch lässt sich die gen Himmel strebende Schönheit nicht davon abhalten, weiter zu kämpfen, weiter nach oben zu schießen, auszuschießen und noch mehr Knospen zu bilden.

 

In dem Moment, wo sie nur noch auf den richtigen Zeitpunkt warten muss, um ihre harten, unnachgiebigen Knospen der Welt zu öffnen, ist ihr Werk fast vollbracht. Jetzt muss sie sich nur noch einmal richtig anstrengen, all ihre Kräfte bündeln, die Energien freilassen und sich zu guter Letzt noch trauen, sich der Welt zu offenbaren.

 

Auch wenn dieser letzte schwere Akt, die Stunde der eigentlichen Geburt, die aus der Knospe die reife, prächtige Blüte macht, ein weiteres großes Risiko auf der letzten Etappe ins Leben darstellt, so ist die Freude, das Leben selbst am Ende zu umarmen, sich ihm voll und ganz hingeben zu können, jedes noch so große Risiko wert, denn zu leben, heißt zu wagen.

 

Und wer nichts wagt, kein Risiko eingeht, verweigert sich dem Leben und dem Spaß daran. Dies gilt sicherlich nicht nur für ein Blumenleben, sondern auch im übertragenen Sinne für uns Menschen, denn wir wachsen ebenfalls an unseren Erfahrungen, Misserfolgen, Schicksalen, Niederlagen und gleichermaßen auch an den kleineren und größeren Erfolgen. Auch wir haben Feinde und selbstverständlich Freunde.

 

©Nicole Hacke / am Steinhuder Meer - Maardorf

Life is a flowering experience - und zwar in allen Facetten des Lebens, mit allen Hindernissen und menschlichen Einbrüchen, die man auszufechten hat.

 

Doch für das eine zerbrechliche Leben lohnt sich dieser Kampf ums Dasein.

 

Was sich aber nie lohnen wird: den Kampf nicht aufzunehmen und stattdessen aufzugeben, bevor man aus der Knospe zur vollen Schönheit gereift ist. Denn Lebenserfahrung und Reife bilden die Grundvoraussetzung für ein Leben, das in voller Blüte stehend Bestand hat, wertvoll und einzigartig ist. Nur auf einem Weg, der von Höhen und Tiefen gesäumt ist, können wir den Zustand der Vollkommenheit, des absoluten Aufblühens erlangen.

 

Und dieses einmalige Erlebnis wollen wir tatsächlich versäumen?

 

Viel zu schade wäre es doch, wenn wir einfach in unserer Knospe verharrten und das Leben nicht wagten, nur um etwaigen Risiken zu entgehen.

 

Irgendwann käme dann der Tag, an dem wir feststellen müssten, dass der Schmerz des „Nicht-Erblühens“ mehr wiegte als das Risiko, dem Leben verwundbar, aber glücklich und mit offenen Armen entgegenzugehen.

 

Deshalb lasst uns blühend dieses Leben genießen, dieses eine, solange es geht!

 

Eure

 


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