interaktives caféhausgeflüster oder privates Kaffeekränzchen?

GASTRONOMISCHE BESUCHE IN ZEITEN VON COVID-19

16. MAI 2020

©Nicole Hacke

Seit Anfang dieser Woche haben die Cafés wieder geöffnet, dem letzten gültigen Beschluss der Regierung sei Dank. Endlich können sich die Menschen wieder draußen treffen, bei Kaffee und Kuchen miteinander plaudern, das bunte Treiben in den gut besuchten Caféhäusern beobachten, sich selbst wieder als Teil des großen Ganzen fühlen. Endlich wieder in der Masse verschwimmen, eins sein mit dieser quirligen, vor Lebendigkeit sprudelnden sozialfreundlichen kaffeetrinkenden Kultur, dass ist es doch, was mir irgendwie gefehlt hat.

 

Dem Jahrmarkt der Eitelkeiten beiwohnen, wieder ein bisschen Mäuschen spielen, den Gesprächen am gegenüberliegenden Tisch heimlich lauschen oder sich sogar höflich distanziert in das Gespräch einbringen, dort wo es angebracht und passend erscheint.


Ach, wie schön wieder so mitten drin im Leben sein zu können, im Miteinander, untereinander, ohne Angst, dem anderen zu nah zu kommen, sich in einer unverbindlichen Plauderei zu verlieren, den Alltag einfach mal auszublenden, ein ganz normaler Mensch unter Menschen sein zu dürfen. Wie sehr es doch vielen von uns ganz sicherlich gefehlt hat, wieder auf Tuchfühlung mit unseren Mitmenschen gehen zu können.


Doch obgleich Social Distancing eine Lockerung der festgezurrten Zügel erfährt und Kontaktfreude wieder höher im Kurs steht, bleibt die Handbremse der Restriktionen weiterhin kontrolliert und achtsam angezogen. So stehen wir weiterhin im düsteren Schatten des Coronavirus, das wie ein Damoklesschwert omnipräsent und drohend über dem gesellschaftlichen Treiben und über allen lieb gewonnenen Annehmlichkeiten hängt, derer wir nun seit mehr als zwei Monaten schweren Herzens entsagen müssen.


Und der Schein trügt bekanntlich meistens, die Versprechungen und Zugeständnisse, die uns von Seiten der Staatsoberhäupter gemacht werden, besänftigen gerade so eben die bereits köchelnden Gemüter, um die aufkeimende, immer lauter werdende Unruhe einigermaßen in Schach zu halten.

 

©Nicole Hacke

©Nicole Hacke / Zitronentarte aus der Patisserie Niko in Hamburg

Selbstverständlich können wir wieder ins Café gehen. Aber unter welch faulen Kompromissen und freiheitlichen Einschränkungen?


50 Prozent Auslastung, mehr dürfen die gastronomischen Betriebe in ihren Räumlichkeiten nicht zulassen, Abstandsregelung inklusive. Zumindest 2 Haushalte à 2 Pärchen dürfen sich dabei an einen Tisch setzen. Größere Gesellschaften sind strengstens untersagt.


Will ich bei all den Restriktionen dann überhaupt noch ins Café oder erspare ich mir dieses Trauerspiel gleich von vorne herein? Was mache ich, wenn ich alleine unterwegs bin. Habe ich dann zukünftig mehr Glück als Single einen freien Platz zu ergattern, ohne mich verschämt entweder an einen besetzten Tisch dazugesellen zu müssen oder gleich direkt auf dem Absatz kehrt zu machen, weil es eh wieder mal viel zu voll in dem aus allen Nähten platzenden Lokal ist.


Wahrscheinlich habe ich jetzt die freie Platzwahl, sitze aber mutterseelenallein an einem vereinsamten Tisch, den ich zwar ganz für mich allein haben werde, mich dafür aber auch wie auf dem Präsentierteller, als Schlachtvieh dargeboten fühle. Brauche ich das alles wirklich oder wähle ich die alternative, sperrige und verstaubt konservative Variante und lade von jetzt ab selbst zum Kaffeekränzchen ein, so wie es meine Eltern noch vor zwanzig Jahren häufig taten.


Entsage ich dem zauberhaften Kaffeehausgeflüster, der wundervollen Caféhauskultur, wie sie bisher immer noch so traditionsreich in Städten wie Wien gehegt und gepflegt wird, und organisiere ich mir meine eigenen Kaffeekränzchen, allein zu Hause oder mit ausgewählten Freunden meines Vertrauens?

 

©Nicole Hacke

Früher, als ich noch ein Kind war, ging man so gut wie nie ins Café. Das war die Zeit, in der die Cappuccino-Kultur aus Italien noch nicht die deutschen Grenzen passiert hatte. Schlapper Filterkaffee beherrschte den deutschen Markt flächendeckend und trotzte dem "ach so" fremdländischen Gedöns aus dem Land, wo die Zitronen blühten.


Doch wen interessierte damals schon der Kult um die gehypten italienischen Kaffeekreationen, wenn die Mutter mehrere Tage zuvor geschäftig Einkaufslisten abarbeitete, fleißig Besorgungen tätigte, einen verführerischen Kuchentraum nach dem anderen backte, um kurz vor dem bevorstehenden Ereignis, dem Nervenzusammenbruch nahe, mindestens 6 verschiedene Torten für maximal 10 Gäste auf die Kaffeetafel zu zaubern.

 

©Nicole Hacke

Als es dann so weit war, Verwandte, Familie und Freunde angerückt kamen, um die süßen Leckereien meiner Mutter zu verköstigen, war alle Anspannung, jeglicher Stress plötzlich von ihr und auch von meinem Vater und mir abgefallen. Die Kaffeetafel war ein gelungenes Spektakel vollbrachter Konditorenträume, mindestens so gut konnte meine Mutter jedenfalls backen.


Und alles war perfekt, nichts fehlte, die Stimmung ausgelassen und heiter. Vermissten wir damals überhaupt ein Café? Nicht wirklich, zumindest kann ich mich daran nicht mehr erinnern. Wir hatten Spaß, meine Mutter leider die Arbeit. Dennoch fehlte es uns an nichts.


Brauchte es womöglich diese Krise, um mich an tolle Kindheitstage ohne Cafébesuche zu erinnern?

 

Sicher scheint, dass meine Dankbarkeit für die besonderen Dinge im Leben und die sehr privilegierten Annehmlichkeiten, die ich bislang ganz selbstverständlich genossen habe, wieder mehr und mehr in mein Bewusstsein rückt und größer wird.


Ich werde wohl zukünftig bestimmt sehr gut ohne gastronomische Einrichtungen auskommen können. Dafür koche und backe ich viel zu gerne. Andererseits isoliere ich mich dadurch aber auch ein großes Stück weit von der Gesellschaft, schließe mich aus dem sozialen Miteinander aus und bleibe in meinen vier Wänden für mich ganz allein, denn Kaffeekränzchen gibt es, soweit ich weiß, nicht mehr. Sie sind längst schon aus der Mode gekommen und werden wohl auch sobald kein erneutes Revival erleben.

 

Oder doch? Warten wir es ab!


Was meint Ihr zu diesem Thema. Gefällt Euch die aktuelle Situation in den gastronomischen Einrichtungen. Setzt Ihr Euch gerne in leer gefegte Cafés? Macht es noch Spaß allein und ohne Publikumsverkehr Kaffee zu trinken? Was ist der Sinn und Zweck, wenn es nicht aus allen Ecken und Winkeln schnattert, kaum ein Mensch plaudert. Ein Caféhaus ohne Caféhausgeflüster ist eine unbeseelte Einrichtung, in der ich nicht allzu gerne verweile. Warum auch? Wenn es das Leben nicht hineintreibt, warum sollte es mich dann in ein unbelebtes Haus mit vier Wänden treiben?

 

Hoffen wir, dass sich an dieser misslichen Lage bald schon mehr zum Positiven ändern wird. Wünschen wir den Gastronomen Durchhaltevermögen, und den Mut, unbedingt weiterzumachen, denn gerade die schönsten Gespräche, die romantischsten Tête-à-Têtes finden just an diesen Orten statt. Caféhäuser sind nämlich über den reinen Genuss von Trank und Speisen hinaus auch besondere Begegnungsstätten. Auf das sie uns in gewohnter, bekannter, alter Weise erhalten bleiben!

 

Eure

 


Caféhausmusik für´s gemüt

©Jonas Kaufmann - ORF / Wir spielen für Österreich -  In einem kleinen Café in Hernals, das echte Wiener Lied

Wenn der Münchner Tenor Jonas Kaufmann das "Kleine Café in Hernals" besingt, wird einem zugleich wohl und auch weh ums Herz. 

 

Keiner interpretiert dieses herrlich angestaubte Wiener Lied so beseelt und voller Sehnsuchtsbekundungen, wie der charmante Münchner. Ein kleines Trostpflaster ist dieser populäre Gassenhauer allemal, denn wer möchte nicht gern wieder einmal im Caféhaus sitzen, seine Zeitung oder sein Buch lesen, dabei einen guten Kaffee trinken und ein bisschen das geschäftige Treiben beobachten oder gar die Plaudereien am Nebentisch belauschen.

 

Wo spielt sich denn ansonsten das Leben eifriger ab, als eben in einer gastronomisch-kulturellen Einrichtung. Und ein echtes, schönes Caféhaus ist und bleibt ein Umschlagplatz für gesellschaftliche Plauder- und Mußestunden.

 

Und ein bisschen träumen kann man dort auch, von besseren Tagen und von einer besseren Welt!

 


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