auszeit in den eigenen vier wänden

26. APRIL 2020

©Nicole Hacke / Hamburger Umland

Auszeit in den eigenen vier Wänden! Das bedeutet auf der Prioritätenskala sicher nicht Kleiderschränke ausmisten, Bücherregale umsortieren oder gar Frühjahrsputz machen, zumindest sollten diese monotonen Aufgaben nicht an erster Stelle in der Wichtigkeit rangieren, wenn wir gerade mit tief greifenderen sozialwirtschaftlichen Problemen konfrontiert werden.


Jetzt, wo uns das Coronavirus in unserem schnelllebigen Rhythmus so weit ausgebremst hat, dass unser eng getakteter Alltag ein bedächtigerer geworden ist, sozialgesellschaftliche Aktivitäten flachfallen und Fortbewegung einen grundsätzlich neuen Status in unserem mobilen Alltag reklamiert, könnten wir den Fokus endlich einmal auf die wesentlichen Aspekte unseres Lebens richten.
In den sozialen Foren wird in letzter Zeit genau dieses Thema bis zum Abwinken diskutiert.

 

Was tun, wenn Fortbewegung im engsten und im weitesten Sinne keine Option mehr darstellt und wir darüber hinaus auch noch sozialgesellschaftlich von der Welt abgeschnitten sind? Vielen von uns fällt dann nicht nur die sprichwörtliche Decke auf den Kopf, sondern auch nichts Besseres ein, als sich zu Hause zu verkriechen, sich den lästigen, unliebsamen Haushaltstätigkeiten und den bürokratischen Verpflichtungen zu widmen, nur damit die gut strukturierte Tagesgestaltung bloß keine Lücke aufweist oder gar ins Leere läuft.


Es könnte schließlich gefährlich sein, sich in den Phasen des Durchatmens mit sich selbst und seinem Leben zu beschäftigen. Lieber sucht man sich dann alternative Beschäftigungstherapien, die sich als scheinbar probate Ablenkungsmanöver vom derzeitigen Ausnahmezustand erweisen.

 

©Nicole Hacke

Anstatt sich aber das einmalige Geschenk der Entschleunigung einzuverleiben, verbaut man sich das „Mehr“ an Freiraum mit sinnloser Zerstreuung, mit Tätigkeiten, die sowieso einen normativen Teil unseres Alltags bilden und daher folgerichtig nicht noch mehr Raum und Bedeutung in unserem Leben einnehmen sollten, insbesondere dann nicht, wenn unsere gewohnten Routinen dieser Tage mehr denn je untergraben werden.


In der Isolation mag es uns nicht leicht fallen, wertvolle Zeit mit uns selbst zu verbringen. Doch genau diese Auszeit von der Routine, die gerade vor unserer eigenen Haustür stattfindet, in unseren abstrakten vier Wänden, ist eine Chance, nicht unseren Haushalt zu priorisieren, sondern uns selbst neu zu sortieren, uns den Dingen und Aktivitäten zu widmen, die uns Freude bereiten, die uns bereichern, die verborgene Leidenschaften in uns wiedererwecken und uns ermutigen, diese Krise als Chance für einen positiven Wandel wahrzunehmen, einen Wandel, der sich auch zunehmend in uns selbst vollziehen und an dem wir über uns hinauswachsen könnten.
Innere Einkehr oder eben auch der inwärts gerichtete Blick, der sich jetzt nicht mehr auf die äußeren fremdbestimmten Faktoren unseres Lebens richtet, sondern unsere ureigenen Bedürfnisse beleuchtet, sollten dabei an erster Stelle stehen.

Die Gelegenheit, uns selbst wieder auf Augenhöhe zu begegnen, Kontakt mit unserem Selbst aufzunehmen, zu hinterfragen, welchen Sinn wir unserem Leben künftig beimessen wollen und dürfen, ob wir so weitermachen möchten, wie bisher oder ob unser Dasein nach dieser Krise von mehr Sinnhaftigkeit und Erfüllung angereichert werden kann und soll, entscheiden wir ganz alleine.

 

Dafür müssten wir aber den Mut aufbringen, uns unserer Wünsche und Träume wieder bewusst zu werden. Das ist nicht immer leicht in einem fest geschnürten Korsett, dass unser Alltag nun einmal ist und auf den wir oftmals nur bedingt Einfluss haben.

 

©Nicole Hacke

Doch selbst wenn der Alltag den Rahmen unseres Lebens steckt, so haben wir unser Leben dennoch in den eigenen Händen. Nur müssen wir dafür lernen, auch einmal alles loszulassen, was uns einengt, ablenkt und uns zum Sklaven materieller Süchte und Obsessionen macht und uns bedingungslos gesellschaftlich konform gehen lässt. Loslassen bedeutet selbst gewählter Verzicht auf die Dinge im Leben, die uns den Alltag nur temporär versüßen, aber keinen nachhaltigen Effekt auf unser Glück und unsere innere Zufriedenheit haben.

Und in Zeiten wie diesen, müssen wir uns mehr denn je auf unser ureigenes Wertesystem, unsere Überzeugungen, die innere Stabilität und die mentale Kraft, die uns durch die Angst und die schwierigen Phasen des Lebens tragen, verlassen können.

 

Was bleibt von Dir?

 

Und ja, auch die Frage, was von uns bleibt, wenn Status, Macht und Einfluss gerade Pause haben, ist relevant. Wer sind wir denn, wenn wir uns nicht über Jobtitel, Gehalt und materielle Werte definieren können. Was macht uns als Menschen aus, wenn all diese gesellschaftlichen Attribute für viele von uns gerade keine übergeordnete Rolle spielen können, weil es in diesen turbulenten Zeiten im Chaos der Gesundheitskrise nun einmal verblasst?


Fallen wir dann in ein Loch, wenn wir verzweifelt feststellen müssen, dass unsere Persönlichkeit auf einem Luftschloss gesellschaftlicher Errungenschaften fußt?


Machen wir doch einfach mal einen Kassensturz und schauen, was von unseren natürlichen Ressourcen, was von unseren persönlichen Schätzen übrig ist. Jetzt ist die Zeit, um Talente, kreative Potenziale und Ideen wieder aufleben zu lassen, um verloren gegangene Träume anzugehen und umzusetzen.

 

©Nicole Hacke / Hamburger Umland

Geld, Status und Macht. All das kann man uns nehmen mit einem einzigen Flügelschlag. Talent, Kreativität, Persönlichkeit, Wissen, Sekundärtugenden, Charakter, Würde, Humor - Werte, die uns prägen und definieren und uns damit zu einzigartigen Individuen machen, verleihen uns echte, wahrhafte Anerkennung, Prestige und Wertschätzung in der Gesellschaft.

Und nur diese persönlichen Errungenschaften und Charaktereigenschaften machen uns stark, groß, wunderbar und unverwundbar.


Sich darauf zu besinnen, wer man wirklich ist, wer man in diesem einzigen Leben sein will, das sollte aktuell und auch grundsätzlich das wichtigste Anliegen für uns alle sein.


Betrachten wir diese Auszeit als Detox-Kur vom regulären gesellschaftlichen Wirken und nutzen wir sie als bedingungslose Hinwendung zum individuellen Sein, als ersten Schritt zur Selbstwirklichkeit. Wir wissen tatsächlich nicht, was uns in naher Zukunft noch alles erwartet, worauf wir uns weiterhin gefasst machen müssen.

Ob wir jemals wieder in die gekannte Normalität unseres Alltags zurückkehren, steht in den Sternen. Ob wir Struktur, feste Abläufe in gewohnter Form erwarten können, scheint zweifelhaft.


Eines aber ist gewiss: solange wir mit uns selbst im Reinen sind, gefestigt, charakterstark und mit leidenschaftlichem Engagement Farbe für unsere Anliegen bekennen, unbeirrbar unseren eigenen Weg gehen und für all unsere Entscheidungen souverän und selbstbestimmt einstehen können, werden uns gravierende Veränderungen nicht erschüttern.

 

©Nicole Hacke

Ganz im Gegenteil: Veränderungen können einen positiven Wandel einleiten und werden so zur Notwendigkeit, um an den sogenannten Krisen dieser Tage zu wachsen.

 

Denn wer möchte letztendlich nicht auch in einer Gesellschaft wirken, in der sozialer, geistiger und kultureller Reichtum einem Kaleidoskop der Farbenvielfalt gleich kommt, in der Individualität und Originalität wieder Hochkonjunktur erfahren, Entfaltung der eigenen kreativen Potenziale keine Utopie ist, in der Akzeptanz und Toleranz keine Fremdworte sind und Gemeinschaftssinn ganz selbstverständlich und ohne Vorteilsstreben gelebt wird.


Vielleicht stellen sich die Weichen just in dieser ausweglosen, zermürbenden Zeit. Vielleicht scheint am Ende dieses langen, dunklen Tunnels ein Lichtstrahl den Weg zu erleuchten. Vielleicht treten wir aus der Dunkelheit ins Licht und erkennen die Welt als schöner, besser und lebenswerter. Vielleicht gestalten wir sie auch einfach mal zu einem besseren Ort, an dem wir nicht aneinander vorbei leben, sondern das Miteinander pflegen, uns achten, respektieren und uns die individuellen Freiräume geben, die wir für unsere persönliche Entfaltung in allen Aspekten des gesellschaftlichen Strebens und Seins benötigen.


Vielleicht ist die Auszeit in den eigenen vier Wänden dafür gar keine so schlechte Idee!

 

Eure


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