vom wunder des wanderns

03. MÄRZ 2020

UNAUFGEFORDERTE WERBUNG

©Nicole Hacke  / im Trettachtal

Die meisten von uns leben in großen Ballungsräumen, in größeren oder kleineren Städten, aber immerhin in verdichteten Zentren, in denen Lebensraum zu einer bedrohlichen Mangelware wird und das Überangebot an Unterhaltung, Diversion, Vergnügen und Konsum den Rahmen der rational nachvollziehbaren Lebensnotwendigkeiten bei Weitem sprengt. Anstatt des erhebenden, ja vielleicht sogar berauschenden Gefühls von unendlicher Freiheit und bahnbrechender Möglichkeiten, beschleicht mich nur allzu häufig der Gedanke, ob ich in all den Angeboten, dem Überfluss, der ungebrochenen Konsumgeilheit und der einengenden Eindimensionalität des Stadtraums nicht sogar untergehe und jämmerlich ertrinke.


Mein Kleiderschrank ist voll, nein, ehrlicherweise ist er proppenvoll mit allem, was ich selbst nicht mal in einem Monat anziehen kann, ganz zu Schweigen davon, dass ich so viele schöne, aber unzweckmäßige Kleidungsstücke überhaupt gar nicht brauche.


Umgeben von schönen Dingen, die mein Leben bereichern sollten, habe ich seit längerer Zeit für mich festgestellt, dass materieller Reichtum einem glücklichen und erfüllten Leben vehement im Weg steht.


Materieller Reichtum bedeutet Verpflichtung, bedeutet Ballast, bedeutet Last. Und diese Last trägt sich schwer auf der Seele. Man wird sie nicht los, bevor man sie nicht endlich abwirft.

 

©Nicole Hacke / auf dem Weg vom Rappenalptal nach Einödsbach

Minimalismus heißt in diesem Fall das Zauberwort, denn weniger ist oft und immer öfter mehr! Und zwar ein „Mehr“ für die Gesundheit, ein „Mehr“ für die Sinnerfüllung im Leben, ein „Mehr“ für die Zufriedenheit und Ausgeglichenheit und ein klares „Ja“ zu sich selbst, seinen Träumen und Wünschen.


Mit dem Wandern in der freien Wildnis, in der Natur, in den Bergen, kam mir erstmalig die Erkenntnis, dass alles, was mich in der Großstadt im wahrsten Sinne des Wortes zugemüllt, beengt und blockiert hatte, in der Natur keine Rolle, nicht mal eine übergeordnete Rolle spielte und sich sämtlicher Ballast dabei in Wohlgefallen auflöste, ganz von selbst und offensichtlich auf nimmer Wiedersehen! Wieso das?

 

sich lösen vom ballast des überkonsums! In der Natur geht das


Die Natur ist eine minimalistische Welt. Es gibt keine Einkaufsmeilen, keine Konsumtempel, keine ununterbrochene Werbeberieselung, die von Litfaßsäulen oder großflächigen Plakaten auf uns herab kommuniziert „ Kauf mich“ oder „Erwirb mich“. Es gibt rein gar nichts, was einen von sich selbst ablenken könnte. In der Natur kann ich weiter nichts als Eindrücke, Erlebnisse und Abenteuer konsumieren. Und dabei geht es nur um mich, nicht um das, was andere Menschen oder Industrien von mir wollen.


Ich bin regelrecht dazu verdammt, mich im Freien, auf offenem Feld, in der Felswand oder wo auch immer ich mich gerade aufhalte, mit mir selbst zu beschäftigen und auseinanderzusetzen.


Somit habe ich rein gar keine Chance auf sinnlose Ablenkungsmanöver, die mir suggerieren wollen, dass meine Kaufkraft einen Zugewinn für meinen Selbstwert darstellt.

     

©Nicole Hacke / Blick von Einödsbach auf die Mädelegabel

Was für ein Blödsinn überhaupt! Wir Menschen nähren uns aus unseren eigenen Potenzialen. Als kreative Wesen können wir aus dem absoluten „Nichts“ ganz viel machen. Wir können Bilder malen, Bücher schreiben, musizieren, tanzen und noch so viel mehr. Wir sind uns selbst die größte, unerschöpflichste Quelle, die einfach nur angezapft werden muss. Und sie kostet nichts.


Lediglich unsere Talente, Begabungen und unser Grips sind dabei gefordert. Und draußen beim Wandern in der Natur ergeben sich diese Dinge so gut wie von selbst. Wir setzten dabei einfach Energien frei, die uns wieder auf das Wesentliche fokussieren lassen, die neue Ideen zutage fördern und uns vor allem von belastenden Gedanken befreien, die der größte Feind der Kreativität und der individuellen Weiterentwicklung sind.


In dem Moment, wo wir uns in der Natur unserer Konsumzwänge entledigen, sind wir wieder frei für unsere eigenen Potenziale, sind wir auf einmal ganz bei uns selbst und nicht mehr gefangen in der fremdbestimmten Konformität unserer scheinbar schönen Scheinwelt.

 

 ©Nicole Hacke / im Rappenalptal

©Nicole Hacke / Rundwanderweg in Tiefenbach

Hinzu kommt, dass durch einen bewegungstüchtigen Aktionismus innere Blockaden aufbrechen. Wandern ist demnach mehr als nur gehen, spazierengehen, schlendern oder promenieren.


Wandern ist eine geistige, auf das Wesentliche fokussierte, körperbewusste Einstellung mit der Zielsetzung, die Quintessenz aus den eigenen Interessen zur Realisierung seiner Träume zu schöpfen, kurz gesagt: Wandern ist eine Lebenseinstellung, eine klare bejahende Haltung gegenüber den eigenen Bedürfnissen und Träumen.

 

wandern als zündschnur unserer leidenschaften


Als ich vor ein paar Jahren wieder mit dem Wandern und dem Alpinismus anfing, fiel es mir hochgradig schwer, meine inneren Hürden, meine Blockaden und damit meine körperliche Starre aufzuweichen. Ich war unbeweglich, träge und hochgradig unkonditioniert. Jeder Schritt, den ich tat, war erschöpfend, auslaugend, anstrengend und einfach viel zu kräftezehrend.


Ich kam gerade mal auf 200 Höhenmeter hoch und war danach total am Ende. An Spaß war nicht zu denken, obwohl es Zeiten gab, da hätte ich auf so einer Wanderung Bäume ausreißen können. Genau das wollte ich wieder erleben. Also gab ich nicht auf, konditionierte mich über Wochen, fuhr regelmäßig in die Berge, wanderte jeden Tag erst wenige, dann immer mehr Stunden pro Tag und merkte innerhalb weniger Monate, dass mein Körper wieder zur Hochform auflief. 

 

Es lief. 

 

Kraft, Ausdauer und Kondition kamen zurück, und mit ihnen meine innere Stärke, alles bewegen zu können, was ich wollte, nicht nur im sportlichen, sondern auch im mentalen Sinn.

 

©Nicole Hacke / in Einödsbach, Blick auf die Mädelegabel

©Nicole Hacke / in der Schlucht des Stillachtals Richtung Einödsbach

©Nicole Hacke / Einödsbach im Stillachtal

Wandern wurde plötzlich zu meinem Suchtfaktor. Mit dem „Weniger“ an materiellem Konsum, wollte ich ein „Mehr“ an erlebnisreichen Aktivitäten. Dazu gehörten Reisen, kulturelle Events, aber ganz besonders eben auch und vor allem das Wandern. Je mehr ich in die Natur eintauchte, je mehr ich dort zur Ruhe kam und je mehr ich mich dabei bewegte und körperlich forderte, desto mehr brach mein kreativer Schaffensdrang aus mir heraus. Mit großer Leidenschaft widmete ich mich ausdauernd wieder den verloren geglaubten Talenten, die ich reaktivierte und mit denen ich neue Ideen aus dem Boden stampfte. Es war wie ein Sog, der immer stärker an mir zerrte und mich immer weiter machen ließ, ohne Unterlass - bis heute!


Vom Wunder des Wanderns und der Wiederentdeckung der Natur: Das ist meine ganz persönliche, individuelle Geschichte. Und ich bin davon überzeugt, dass ich durch das Wandern mit der Natur eins werde, mit ihr verschmelze, mich ihrem Rhythmus voll und ganz anpasse.


Es ist wie eine Harmonie, in der ich aufgehe, und es ist vor allem ein erhebendes Gefühl, mich als Teil des großen wahrhaften Ganzen wiederzuerkennen und nicht wie ein hilfloses einzelnes Blatt im Strom des Großstadtdschungels hinfortgeschwemmt zu werden.


Genau deshalb ist Wandern, genau deshalb ist die damit verbundene Freiheit, die ich in der Natur erleben darf, mein Lebenselixier!

 

Eure

 

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