gedanken zur corona-krise

VOM WANDEL DES LEBENS UND WAS KRISEN DAMIT ZU TUN HABEN

27. Februar 2021

©Nicole Hacke / Hinüberscher Garten Hannover

2020 war nicht mein Jahr, obgleich ich am Silvesterabend des alten Jahres einen Glückscent in einem Rosinenzopf fand. Nach griechischer Tradition hätte mir das ein segensreiches, gesundes, glückliches und erfolgreiches Jahr bescheren müssen. Doch Pustekuchen! Irgendwie schien sich das Glück nicht so recht für mich zu interessieren. Geradewegs an mir vorbeilaufend ließ es mich so locker links liegen wie die Corona-Krise mit Pauken und Trompeten im Januar letzten Jahres Einzug in die bis dazumal beschauliche und unaufgeregte Welt hielt.

 

Hatte ich Pläne geschmiedet, so waren diese mit sofortiger Wirkung auf unbestimmte Zeit ad acta gelegt worden. Karten für begehrte Konzerte und Festivals wurden storniert, meine Reiseaktivitäten auf Eis gelegt. Freiheit, Ablenkung, Vergnügen, Abenteuer und all die Dinge, die ich eigentlich zum Leben brauchte, um gut und gerne zu funktionieren, waren erst mal  passé. Die neue Maxime lautete Stillstand.

 

Das Leben nahm für mich eine ungeahnte Wendung an, die auf Genügsamkeit in den eigenen vier Wänden reduziert von jetzt auf gleich ausschließlich mit Spaziergängen und kurzen Ausflügen in das nahegelege Waldstück meines Stadtbezirks einherging. So plötzlich verstummte der tagtägliche Lärm auf den Straßen, in den U-Bahnen, in den Geschäften, den Konzertsälen, den Flughäfen und Bahnhöfen der Welt, dass einem fast unheimlich und ein wenig flau zumute wurde. Die Städte waren wie leer gefegt. Das Leben erstarrt und wie ausgelöscht.

 

Dabei fühlte ich mich im ersten Moment wie ein arbeitsloser Hamster im stillgelegten Hamsterrad, das sich doch stets zuverlässig im "Höher-Weiter-Schneller-Modus" so grunddynamisch zu drehen vermochte. Nun stand es unbewegt vor mir und ich wusste, dass ich mich vom spaßbezogenen Leben auf der  Überholspur längerfristig verabschieden musste, ob ich es wollte oder nicht!

 

©Nicole Hacke / Hinüberscher Garten Hannover

©Nicole Hacke / Hinüberscher Garten Hannover

Zwar hatte ich jetzt scheinbar alle Zeit der Welt, um abzuschalten, runterzukommen, mich in Langeweile zu üben und durch Muße kreativen Impulsen nachzugehen - und vielleicht sogar neue Erkenntnisse für meinen zukünftigen Lebensweg herauszuarbeiten. Allerdings fehlte mir das Abenteuer Leben, denn ich konnte im kleinen Radius meiner abgesteckten Auslaufzone, die nun mal mein Zuhause war, keine echte, unbegrenzte Freiheit verspüren.

 

Resigniert nahm ich irgendwann hin, was nicht zu ändern war und begann, mein Leben neu zu sortieren. Mit den wenigen Möglichkeiten, die mir zur Verfügung standen, um meinen Alltag zu gestalten, begab ich mich zuerst auf eine kreative Reise in die Welt der Kochkünste, weitete alsbald mein gestalterisches Potenzial auf häusliche Aktivitäten wie das Singen, Stricken und Basteln aus und schrieb darüber hinaus auch vermehrt Blogbeiträge über vergangene Urlaube und Reisedestinationen - und träumte mich dabei sehnsüchtig immer wieder in die weite Ferne.

 

Als dann endlich der Sommer kam, die steigenden Temperaturen versprachen dem Virus den Garaus zu bereiten und damit einhergehend endlich die europäischen Grenzen wieder für den Reiseverkehr gelockert wurden - der erste Lockdown somit sein gnädiges Ende fand - schöpfte ich voller Erleichterung erneut Hoffnung.

 

Trotz anfänglicher Bedenken und der aufkeimenden Angst an Bahnhöfen, Flughäfen und überhaupt an allen möglichen öffentlichen Plätzen mit anderen Menschen in Kontakt treten zu müssen, überwand ich mich letztendlich zu meiner ersten Reise mit dem Flugzeug. Alles ging gut, denn der Hamburger Flughafen war so menschenleer wie noch nie. Wo waren all die Reisenden hin, wo waren sie bloß abgeblieben?

 

15 Flüge an nur einem einzigen Tag: Die Natur konnte sich endlich mal freuen und aufatmen, denn wenig CO2 Ausstoß bedeutete klare Luft und ein Blau im Wolkenmeer, das so intensiv leuchtete wie die schönste Badebucht an Griechenlands Küsten.

 

©Nicole Hacke / Hinüberscher Garten Hannover

©Nicole Hacke / Marienwerderholz - Hinüberscher Garten Hannover

Mein Leben machte wieder Spaß. Vorsichtig tastete ich mich an weitere Ausflüge und Reisen heran. Spontanität war nun gefragt. Planen von langer Hand mittlerweile ein alter Hut. Was jetzt zählte, war die Fähigkeit, flexibel mit Veränderungen umzugehen, mit der planlosen Welle mitzuschwimmen und auf den passenden Moment für die passende Gelegenheit zu warten, um dann schnell zuzugreifen. Ich tat es und tat gut daran, denn der Überraschungseffekt potenzierte sich, als ich kurzfristig ein Konzertticket für die Wiener Oper ergatterte und mich mit knappem Vorlauf ein paar Tage später auf samtener Bestuhlung im Parkett des altehrwürdigen Hauses wiederfand.

 

Es war faszinierend und kaum zu glauben, dass ich erstmals nach Monaten wieder in einem zwar halb leeren Saal zugegen sein konnte, ein Opernbesuch aber durchaus möglich schien, wenn auch nicht in Deutschland. Schließlich reichte es ja auch, wenn die Österreicher es möglich machten – und die machten sich zu meinem großen Erstaunen wirklich stark für die Wiederbelebung des kulturellen Alltags.

 

So kam es schlussendlich, dass ich zumindest drei klassische Konzerte live und unplugged in der coronagebeutelten Zeit erleben durfte, bis dann leider der Herbst seine kalten Pforten öffnete und mit den frostigen Temperaturen alles wieder zunichtemachte, was sich zumindest für die Dauer der sommerlichen Tage wie altbewährte Normalität angefühlt hatte. Die zweite Corona-Welle war unmittelbar auf dem Vormarsch - und sie war unaufhaltsam in ihrer geballtesten Kraft.

 

Doch die Gesundheitskrise konnte mich nun nicht mehr aus dem Gleichgewicht bringen. Ich war emotional stabil, finanziell unabhängig – und ich hatte mir den Sommer trotz  Restriktionen und indoktrinierter Maßnahmen so sinnvoll und erlebnisreich wie nur möglich gestaltet, dass meine Selbstwirksamkeit wie ein Fels in der Brandung stolz emporragte. Es schien, als ob nichts und niemand jemals die Grundpfeiler meiner mentalen Stabilität durchbrechen konnte. Ich war unerschütterlich in meiner festen Überzeugung, dass alles wieder gut werden würde. Kam Zeit, kam schließlich auch Rat.

 

©Nicole Hacke

Jedenfalls kamen mir der Frohsinn, die Zuversicht und der Glaube an eine bessere, sinnhaftere Zukunft nach der Krise nicht abhanden.

 

Mein mentales Gerüst brach letztendlich und in unvorhersehbarer Weise an etwas ganz anderem zusammen. Und dieses etwas kündigte sich mit leiser Vorahnung bereits im Oktober 2020 an und sollte mich wie eine unaufhaltsame Lawine eiskalt überrollen.

 

Plötzlich stand mein Leben, das soweit in ruhigen Bahnen in der für mich unaufgeregten Krisenzeit angenehm dahinplätscherte, abrupt Kopf.

 

Ruderlos wie eine fragile Nussschale auf offener See kämpfte ich mich plötzlich durch den für mich erbittertsten Sturm meines bisherigen Lebens, obgleich mir Schicksalsschläge nicht wirklich fremd waren.

 

Hatte ich mein Leben bis dato scheinbar im Griff gehabt, hatte ich grundsätzlich ein eigenes Leben gehabt, so stellte ich es hintan und opferte es von jetzt auf gleich für einen Menschen, der todkrank meine ganze Aufmerksamkeit und Untertsützung benötigte.

 

Ich sah mich ganz plötzlich und ohne Vorwarnung in pflegerischer Tätigkeit, die für mich als Laie im ersten Moment eine Totalüberforderung darstellte, hatte ich doch nie auch nur im Ansatz jemals etwas mit einem Pflegeberuf oder überhaupt mit Menschen zu tun gehabt, die sich mit älteren, kranken und eben pflegebedürftigen Patienten tagtäglich auseinandersetzen mussten.

 

Hinzu kam, dass ich mich erstmalig sowohl mit der Endgültigkeit des eigenen Seins als auch mit der unverrückbaren Tatsache konfrontiert sah, dass es manchmal für ein Leben keine Rettung mehr gibt, dass ein Krankheitsverlauf so leidvoll und ohne Heilungschancen voranschreiten kann, dass lebensverlängernde Maßnahmen einfach ausgeschlossen sind und man sich zwangsweise anderen alternativen Behandlungsmethoden widmen muss.

 

©Nicole Hacke

So lernte ich, wie man einen Menschen palliativ begleitet, was es bedeutet, dem letzten Lebensabschnitt eines Menschen einen würdevollen Rahmen zu verleihen - ohne Qualen, ohne Schmerzen und mit gutem Gewissen, damit sinnbringend Gutes zu tun, auch wenn die Tatsache, den geliebten Menschen dadurch zu verlieren, schwer, wirklich schwer zu verkraften ist.

 

Doch manchmal fordert das Leben Tribute. Es unterliegt einer höheren Macht, der wir uns nicht entziehen können. Und dieses Wissen um die Unabänderlichkeit der Dinge, die Unaufhaltsamkeit des Schicksals macht hilflos, überfordert und lässt einen phasenweise sogar tief im Kern der Seele verzweifeln.

 

Und mit genau dieser Verzweiflung, die einen ohnmächtig werden lässt, erlebt man sich plötzlich anders, fragiler, menschlicher und zugleich wachsamer gegenüber dem eigenen verwundbaren Dasein.

 

Das Leben hat sehr viele Facetten. Auch das Sterben gehört unabdingbar und unleugbar dazu. Es ist Teil von uns und macht das Leben erst zum lebenswerten Mittelpunkt, wenn man begreift, dass es endlich ist.

 

©Nicole Hacke / Hinüberscher Garten Hannover

Wenn mich genau in diesem Moment jemand danach fragen sollte, wie ich mit den Auswirkungen der Corona-Krise klarkäme, würde ich mir wohl ein müdes, leicht debiles Lächeln abringen müssen.

 

Sicher ist diese sozialgesellschaftliche Krise ein großes Thema, ein schwieriges Thema und zugleich eine extreme Belastungsprobe für die Wirtschaft, die Kultur und überhaupt für das gesellschaftliche Zusammenspiel. Und dennoch meine ich zu glauben, dass Hoffnung immer auch aus Krisen erwachsen kann, denn diese Krise ist nicht unabänderbar, auch nicht statisch. Und Sie ist vor allem nicht das Ende der Welt, sondern vielmehr ein Neuanfang eines jeden einzelnen Lebens.

 

Nach dem letzten Jahr und insbesondere den letzten Monaten, die mich persönlich stärker denn je geprägt, mich geformt und als Mensch über meine Grenzen weit hinaus katapultiert haben, bin ich mir sicher, dass ich das Leben zwingend als große, einmalige, nie wiederkehrende Chance begreifen muss, als Katalysator für Träume, die erfüllt werden wollen, als Motor für die Ziele, die unbedingt angestrebt werden müssen und als Weg, den man mit festem, zuversichtlichem Schritt einschlagen sollte, damit man niemals bereut, ihn am Ende seiner Tage nicht gegangen zu sein.

 

Das Leben will nämlich gelebt werden. Es will umarmt und geliebt werden, so wie es ist - mit oder ohne Krise. Dafür akzeptiert es auch die menschlichen Fehler, die Irrtümer und die Irrwege, die wir oftmals einschlagen, bevor wir uns und den eigenen Weg finden. Doch ganz egal, wie schwer uns das fällt und wie sehr wir auch von Schicksalsschlägen im Laufe unseres Seins geplagt werden, der rote Faden mit all seinen Höhen und Tiefen sollte sich immer durch unser Leben ziehen. Wir sollten an ihm festhalten, so fest wir nur können. Und wir sollten ihn besser finden, damit unser Leben Sinn bekommt.

 

Das Corona-Jahr 2020 war für mich eine echte Herausforderung, ein wahrhafter Kraftakt, ein Wechselbad der Gefühle, ein schmerzhaftes, verlustvolles und dennoch unvergesslich prägendes Jahr, mit dem für mich gleichermaßen Wandel und Wachstum einhergegangen sind.

 

©Nicole Hacke

Wandel und Wachstum! Fragst du dich jetzt, wie das in einer Krise funktionieren kann?

 

Für mich waren es tatsächlich genau diese Tiefschläge, die mich stärker gemacht, die mich über mich hinaus haben wachsen lassen und in der Krise stark gemacht haben. Manchmal müssen wir eine echte Krise durchleben, um uns wieder zu spüren, um den Puls des Lebens wieder wahrnehmen zu können. Das ist mein Gefühl, denn ich habe es so durchlebt.

 

Und verhält es sich mit der Krise nicht sogar ein bisschen wie bei einer Metamorphose, die aus der Raupe einen farbenprächtigen Schmetterling macht.

 

Ohne diese Metamorphose, diesen durch Krisen evozierten Wandel und ohne den Mut, Verlustängste in Form von Krisen zu konfrontieren und letztendlich zu meistern und zu besiegen, hätte die Raupe in ihrem kurzem Leben niemals erfahren, was Entwicklung, Wachstum, Glück und Freiheit bedeuten.

 

Sie wäre schlichtweg eine Raupe geblieben, die sich niemals in den blauen Himmel hätte erheben können.


Wie geht es euch mit Krisen? Wie habt ihr das Jahr 2020 erlebt und was hat euch bislang geholfen, euch in dieser extremen Situtation zu behaupten?

 

Auf einen Austausch freue ich mich sehr!

 

Bleibt alle gesund, denn das höchste Gut ist nun Mal die Gesundheit!

 

Eure

 


Kommentare: 0